Als Erstklässler erklärte mir meine Schwester, das die Erde rund ist: Wenn Du hier ein Loch gräbst, und immer weiter gräbst, durch die Erde hindurch, kommst Du auf der anderen Seite heraus und bist in - Neuseeland. Wow! Als mir das Ganze plastisch an einem Globus gezeigt wurde, hatte ich Angst, die Menschen dort fallen von der Erdkugel herunter. Ok, Erdanziehung, alles klar. Aber sie müssen den ganzen Tag auf dem Kopf laufen, das ist doch anstrengend. Auf jeden Fall ist es der am weitesten entfernte Punkt auf der Erde, egal, ob man sich durchbuddelt, oder aussen herum fliegt. Mein Kindheitstraum war geboren: dort möchte ich gerne mal hin.
Während meiner Studienzeit habe ich viele Berichte über Neuseeland gehört und gelesen. Fast alle waren überschwenglich vor Begeisterung. Besonders beeindruckt haben mich die Bilder von dort, es wurde mir schnell klar: das ist nicht nur das am weitesten entfernte, sondern auch ein wunderschönes Land, das fast alles zu bieten hat, was man sich vorstellen kann. Was man mir aber in meiner Kindheit verschwiegen hat: auch die Jahreszeiten stehen dort auf dem Kopf. Sommer zu Weihnachten, Sylvesterparty am Strand - wieder kam es in mir hoch: da muss ich hin.
Es hat lange gedauert, aber es stand nie in Frage: eines Tages hielt ich endlich das Flugticket in der Hand. Es ging mit der Korean Air nach Auckland, netterweise nahm die Airline mein Rad auch noch umsonst mit. Welch eine Vorfreude, welch eine Aufregung, als ich Anfang Dezember zum erstenmal in einem Jumbo abhob. Der erste Teilflug Frankfurt - Seoul war sehr angenehm, ich hatte eine ganze Fenstersitzreihe für mich alleine. Besonders eindrucksvoll war der Flug über die mongolische Wüste: Schnee, so weit das Auge reichte. Unwillkürlich musste ich daran denken, dass ich fast nur T-Shirts und kurze Hosen eingepackt hatte - wenn das mal gut geht. Nach dem Umsteigen war es nicht mehr so gemütlich. Die Strecke Seoul - Auckland ist noch länger, und diesmal war der Jumbo bis auf den letzten Platz besetzt. Ausserdem machten sich erste Ermüdungserscheinungen breit. Als es dann hell wurde, waren wir schon auf der Südhalbkugel - strahlende Sonne, tiefblaues Meer. Irgendwann kam eine lange weisse Wolke in Sichtweite, wie in den Reiseberichten beschrieben: Aotearoa, das Land der grossen weissen Wolke. Kia Ora - der Traum wird wahr.
Über meine vier Radtouren in Neuseeland vom Norden der Nordinsel bis zum Süden der Südinsel berichte ich hier. Noch etwas ausführlicher wird es in den Beschreibungen jeder einzelnen Etappe, die auch immer einen Hinweis über die Länge der Strecke sowie die von mir besuchten Campingplätze oder Alternativen enthält. Viel Spass beim Lesen.
Sieben Wochen Neuseeland lagen vor mir, alleine auf dem Rad. In meinem übermüdeten Zustand nach 24 Stunden Flug war ich bei der Ankunft seltsam aufgedreht. Das war auch nötig, denn die Einreiseformalitäten hatte ich mir doch einfacher vorgestellt - insbesondere die Gepäckkontrolle. Keine frischen Lebensmittel, das Fahrrad muss blitzen, und dann auch noch ein schonmal benutztes Zelt dabei - die Aufmerksamkeit der Officer war mir sicher. Sehr bestimmt, aber stets freundlich, entliessen sie mich schliesslich in die Freiheit, aber nicht, ohne vorher einmal mit dem Finger unter die Schutzbleche zu fahren - das hatte ich aber vorher im Reiseführer gelesen und war entsprechend vorbereitet ;-)
Es ist Dezember, man tritt aus der grossen Flughafenhalle ins Freie - und es ist warm. Die Sonne scheint, der Blütenduft steht einem in der Nase, man kann den Sommer riechen. So intensiv erlebt man es nur in den ersten Stunden. Nun beginnt die Suche nach dem Campingplatz, in Auckland ist es nicht schwer, es sind ca. 4 - 5 km nach Osten entlang der Puhinui Road Richtung Manukau. Der übermüdete Radler sollte sich unbedingt klar machen, dass er ab jetzt auf der linken Seite fahren muss! An der Great South Road biegt man rechts ab und trifft sofort auf das erste Camp, ein paar km weiter kommt gleich das zweite. Nach dem Einchecken darf ich mir ein schönes Plätzchen aussuchen, schlage mein Zelt auf, und fühle mich vom ersten Moment an heimisch.
In den Reiseführern ist zu lesen, man soll sich erst am frühen abend schlafen legen, wenn man es so lange aushält, um gegen den Jetlag und die gewaltige Zeitverschiebung von satten 12 Stunden (man ist hier genau auf der entgegengesetzten Seite der Weltkugel) anzugehen. Gar nicht so einfach, um 17 Uhr bin ich geliefert, wache dafür am nächsten morgen um 4 Uhr auf und bin, obwohl noch dunkel, putzmunter. Es war für mich aber erstaunlich, wie schnell man diese Zeitverschiebung verdaut, ab dem 2. Tag hatte ich keine Probleme damit. Als es dann schließlich hell ist, schaue ich aus dem Zelt auf die grüne, akkurat gemähte Wiese zu den Watschelentchen rüber, während just in diesem Moment ein Schauer runterkommt. Dieses Bild im Zusammenhang mit dem Linksverkehr läßt mich einen Augenblick zweifeln, ob der Käptn sich nicht verflogen hat - das kommt mir so bekannt vor ...
Die Tour führt mich entlang der Sehenswürdigkeiten Neuseelands über Coromandel, die Bay of Plenty, die Thermalgebiete und das Vulkanplateau komplett durch die Nordinsel bis Wellington. Nach der Hälfte der Tour kann ich mir nicht vorstellen, was auf der Südinsel noch schöneres kommen soll - und werde nach durchqueren der Cook Strait in den Marlborough Sounds sogleich eines besseren belehrt. Über Nelson führt mich die Route durch das Landesinnere an die Ostküste nach Blenheim. Für die West Coast bin ich nicht wasserdicht ausgerüstet. Über Kaikoura und Christchurch führt mich die Route schließlich bis Dunedin und endet nach 2340 km radeln auf der Otago Peninsula im Paradies der Tiere. In der gesamten Zeit hatte ich nur 2 Regentage, 1 auf der Nordinsel, 1 auf der Südinsel, die Kiwis sprechen von einem aussergewöhnlich warmen und trockenen Sommer. Zurück geht es Ende Januar von Christchurch. Es war ein Traum, es bleibt ein Traum - ich werde wiederkommen, das steht fest.
Ich bin zurück, diesmal zusammen mit einem Freund, der sich hat überreden lassen, den Urlaub auf dem Rad zu verbringen. Man muss dazu sagen, Neuseeland ist nicht einfach zu radeln - oder um mit den Worten eines Original-Kiwis zu sprechen: "New Zealand is not a flat country". Dafür wird man aber für jede Mühe doppelt und dreifach belohnt, das kann ich versprechen. Diesmal fliegen wir mit Garuda Indonesia über Denpasar/Bali, die Räder wurden auch hier umsonst mitgenommen. Meine Begeisterung darüber hielt sich aber sehr in Grenzen. Wir werden schon vor dem Abflug damit konfrontiert, dass die Maschine defekt in Jakarta steht und der Flug annuliert wurde. Uns erwarten noch weitere "kleinen Scherze", keine Maschine dieser Airline kommt pünktlich weg.
Angekommen in Neuseeland ist die Freude riesengroß und alle Strapazen des Fluges sind vergessen. Diesmal ist es der Duft frischer Erdbeeren, der uns auf dem Weg zum Campingplatz vielversprechend in die Nasen steigt. Mein Wunsch war es, all die schönen Dinge der Nordinsel nochmal abzufahren und zu sehen, bei denen ich schon auf der ersten Reise war, und zwar in aller Ruhe und mit viel Zeit und Muße. Einzig der kleine Schlenker nach Whakatane war für mich neu. Die Tour ging über Maraetai, Coromandel, Bay of Plenty, Rotorua, Taupo bis zum Tongariro National Park - dem höchsten und gleichzeitig dem Endpunkt unserer Route. Nach nicht einmal 1000 km auf dem Rad waren die 4 Wochen vorbei. Es war wunderschön, das Versprechen gilt: wir kommen wieder, beim nächstenmal ist die Südinsel an der Reihe.
Auf dem Rückflug haben wir uns einen Stopover in Bali gegönnt - Garuda ließ uns auch keine andere Wahl. Auch hier kam während der Reise der grosse Schocker: der Pass meines Kumpels Norbi war nicht mehr ganz 6 Monate gültig (bei der Einreise nach Neuseeland war er es noch). So durften wir nur gegen Zahlung einer Strafe von 50 US$ ins Land - das hat uns vorher leider niemand gesagt. Also aufpassen, Leute, schaut auf's Gültigkeitsdatum Eures Reisepasses. Der Aufenthalt als solcher hat sich aber gelohnt. Im deutschen Reisebüro hatten wir das Legian Beach Hotel in Kuta, etwa 15 km vom Flughafen, gebucht. Es war sehr gut, ruhig und nicht zu teuer. Besonders beeindruckt hat mich die Freudlichkeit der Menschen und das grandiose Frühstücksbüffet mit allen Sorten frischester und saftigster Früchte, die man sich nur vorstellen kann. Im Januar und Februar herrscht in Bali Regenzeit, zusammen mit Temperaturen von über 30° ist dies eine Mischung, die so ganz im Gegensatz zu Neuseeland steht - dennoch kann ich sagen: Bali macht Lust auf mehr Asien.
In diesem Jahr sollte es etwas innovativer und abenteuerlicher werden, das hatten wir uns fest vorgenommen. Da kommt die Südinsel Neuseelands gerade recht. Mit wasserdichten Fahrrad-Taschen von daheim und entsprechender Kleidung ausgerüstet, sollte es der mir noch unbekannte Teil der Südinsel sein. Und es klappte tatsächlich, wir konnten in Dunedin starten, dem Ende der ersten Reise, da eine Düsenmaschine dorthin flog, die im Gegensatz zu den üblichen Propellermaschinen bei Flügen zu kleineren Airports auch unsere Räder mitnahm. Dies war umso erstaunlicher, als wir aus dem Flieger ausstiegen und realisierten, dass die Landebahn trotz Vollbremsung für die 737 aus Auckland gerade mal so gereicht hat. Im regulationswütigen Deutschland gäbe es dafür wohl keine Erlaubnis.
Da es schon früher Abend war, und wir die Länge der Strecke bis zum Campingplatz am Lake Waihola nicht recht einschätzen konnten, fragten wir das letzte Großraumtaxi, ob es uns mit den beiden Rädern noch mitnehmen könnte - obwohl da schon Leute drin sassen. Aber genauso wie die kurze Landebahn für den 737-Käptn kein Problem war, war es auch hier. Die Kiwis sind eben ein nettes und hilfsbereites Völkchen, das fiel uns immer wieder auf.
Die erste Probefahrt - noch ohne Gepäck - vom Lake Waihola zum Pazifik, holte uns dann sofort auf den Boden der Realität zurück und machte uns klar, was vor uns lag: heftige Anstiege, zum Teil auf Schotterpiste, mächtig viel Wind und bei weitem nicht so liebliche Temperaturen wie im Norden. Beim morgendlichen Start war es kühl, besonders im Schatten, also zog man sich etwas warmes an. An der ersten Steigung, nicht selten in der prallen Sonne, kam man dann ins Schwitzen, zog sich wieder aus. Mit feuchtem kurzärmligen Shirt im kalten Wind fährt man nicht lange, also zieht man sich wieder was an ... usw. So ist das radeln im südlichen Neuseeland - ähnelt eher dem schottischen Klima (Dunedin ist übrigens der alte keltische Name für Edinburgh).
Aber wiederum gilt: die Schönheit der Landschaft entschädigt für alle Mühen des Radelns. Die Südinsel hat landschaftlich sehr viel zu bieten, sie ist rauher, wilder, menschenleerer. Und obwohl sie noch gebirgiger ist als die Nordinsel, sind die Steigungen weder schlimmer noch einfacher, es nimmt sich nichts. Es gibt hier mehr breite alpine Täler mit langgezogenen Rampen, wogegen es im Norden ein ständiges Auf und Ab ist.
Nachdem wir in Lake Waihola schon südlich von Dunedin waren, behielten wir die eingeschlagene Richtung bei. Über Milton, die Catlins und Curio Bay ging es teils auf Schotterpisten nach Invercargill, der südlichsten Stadt Neuseelands. Von dort nahmen wir Kurs auf das Fjordland. Te Anau und Milford Sound waren die Höhepunkte der Tour. Dann ging es mangels alternativer Routen in einem großen Bogen durch's Inland zur Westcoast, über Mossburn, Kingston, Lake Wakatipu zunächst nach Queenstown, dann weiter über Chromwell und Wanaka zum Lake Hawea. Dort beginnt der Anstieg zum Haast Pass, dem Tor zur West Coast und damit dem regenreichsten Gebiet Neuseelands - was wir auch ausgiebig "geniessen" durften. Entlang der West Coast ging es nach Norden über Hokitika nach Greymouth, nach 1300 km und knapp 4 Wochen endete dort unsere Radtour. Die Strecke nach Christchurch legten wir mit dem Bus zurück, nach einigen Tagen dort flogen wir mit der Korean Air wieder nach Hause zurück. Ein kleiner Zwischenstop zum Aufwärmen in Bali wäre aber nach dieser Tour durchaus angebracht gewesen.
Nach 2 Jahren ohne Neuseeland bekamen wir extreme Entzugserscheinungen. Die Winter waren bitterkalt, was also liegt näher, als die Räder hervorzukramen, startklar zu machen, in den Jumbo zu laden - und ab durch die Mitte. Nach den Wetterkapriolen der letzten Tour legte Kumpel Norbi sein veto zur Südinsel ein. Dafür erkundeten wir die Nordinsel auf zwei nicht ganz zusammenhängenden Routen - diesmal blieben dafür fast 5 Wochen Zeit.
Der erste Teil führte in das uns noch unbekannte Northland, der Landzunge nördlich von Auckland bis zum Cape Reinga. Das ist eine der Routen, vor denen die Reiseführer den ungeübten Radler warnen. Es sieht so leicht aus, wenn man es sich vom Sky Tower in Auckland von oben anschaut. Man ahnt nicht im entferntesten, dass diese hügelige Landschaft dem Radler mehr abverlangt als die Südinsel. Gleich auf der ersten Etappe geht es fast nur Rauf und Runter, und das keineswegs moderat. Es gibt kaum flache Abschnitte zum erholen. Am Ende des Tages, noch bevor wir den Campingplatz erreichen, sind meine Beine wie Pudding, ich bin völlig ausgepumpt. Aber Hand auf's Herz, so war es bei den vorigen Touren fast immer - nur dass man es auf diesem Abschnitt wirklich nicht erwartet.
Aber schaut Euch die Panoramabilder auf dieser Seite an. Alle bis auf das zweite von oben stammen aus dem Northland. Keine Frage, es ist grandios! Ganz nebenbei ist es die nördlichste und damit wärmste Region Neuseelands - auch diesbzgl. stehen wir hier auf dem Kopf. Es gibt übrigens noch einige andere Dinge, bei denen das so ist. Beispielsweise haben wir uns immer gewundert, warum der Schatten um unser Zelt immer genau in die andere Richtung wandert, als wir es uns gedacht haben. Ganz einfach: die Sonne geht zwar wie bei uns im Osten auf und im Westen unter, aber sie wandert über Norden, im Süden ist sie nie zu sehen.
Der zweite Teil sollte uns um das East Cape führen, auch Neuland für uns, aber von allen Einheimischen in den höchsten Tönen bejubelt. Ist doch klar, da müssen wir auch hin. Wir waren bloss ganz woanders. Das bedeutete: von der nördlichsten Stadt Neuseelands, Kaitaia, mit dem Bus zurück nach Auckland. Dort schauten wir uns nochmal unsere allerliebste Gegend um Maraetai an, dass musste einfach sein, und radelten weiter nach Thames. Von dort nahmen wir wieder den Bus nach Tauranga - das war umständlich und wenig erfreulich, würden wir nicht nochmal machen. Erst wollte der Busfahrer unsere Räder, obwohl angemeldet, nicht mitnehmen (es gibt keine Garantie für den Radtransport in Bussen, wie wir später erfuhren). Als es dann plötzlich doch ging, war am Zielort meine supergeniale Isomatte mit aufblasbarem Kopfteil verschwunden. Wären wir besser mal geradelt.
Von Tauranga ging es nach Whakatane, diese Strecke war uns noch in guter Erinnerung. Am nächsten Tag hatten wir in Opotiki das East Cape erreicht und feierten im wenige km entfernten Opape Sylvester. Der Neujahrstag bescherte uns dann die schönste Strecke des East Capes, allerdings mit Steigungen gespickt - gut dass wir im Northland geübt hatten. Da die gesamte Route um das East Cape nicht einfach zu fahren ist, haben wir uns dafür 4 Tage Zeit gelassen. In Gisborne angekommen waren wir fast 1500 km auf dem Rad. Deshalb entschlossen wir uns, uns etwas Gutes zu tun und für die Rückfahrt nach Auckland ein Auto anzumieten. In Gisborne kann man übrigens Short Golf spielen und eine sehr zu empfehlende Weinprobe machen. Wir fuhren über Napier, Taupo, Rotorua zurück nach Auckland, und machten dort für die letzte Nacht einen Abstecher nach Clarks Beach.
Wir hatten uns schon vorher überlegt, dass wir soviel von Neuseeland gesehen haben, um in den nächsten Jahren andere Ziele anzupeilen. Aber die Vorstellung, nicht mehr nach Neuseeland zu kommen, nein, das kann nicht sein. Und als hätte es jemand gehört, bekamen wir in den letzten 5 Tagen einen grandiosen Sonnenuntergang nach dem anderen geboten - es war atemberaubend. Dieses mal ist es mir ganz besonders schwer gefallen, Abschied von Neuseeland zu nehmen.